Die Moderne ist ein Kind der Zwischenkriegszeit. Charakteristisch waren für diese Strömung u.a. der Minimalismus, verglaste Fassaden und Abneigung gegen Symmetrie. Stilistisch fortgesetzt wurde die Moderne ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Hauptstadt Großpolens ist eine der wenigen polnischen Städte, in der es gelang, die bedeutendsten Bauwerke der Moderne zu bewahren, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Vermutlich werden nirgendwo anders Gebäude im Stil der Moderne als Symbole, als Wahrzeichen der Stadt betrachtet. Die interessantesten Bauwerke sind im engsten Stadtzentrum lokalisiert und es lohnt sich, sie zu besichtigen.
Unseren Spaziergang beginnen wir am Straßenkreisel Kaponiera. Allein die Straßenunterführung unter einem der wichtigsten Straßenkreisel von Poznań verzaubert mit ihrer Schlichtheit und minimalistischer Gestaltung. An dem Straßenkreisel stehen zwei sehenswerte Bauobjekte - das Hotel "Mercure" (einst "Merkury") mit seiner charakteristischen Überdachung über dem Haupteingang. Das Gebäude ähnelt dem Pariser Sitz der UNESCO und dem Berliner Hilton. Bemerkenswert war die schachbrettartige Fassade des Gebäudes (die nach der Modernisierung Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr so hervorsticht) und der sternförmige Grundriss des Bauwerkes. Ein Gegengewicht für "Merkury" sollte das auf der gegenüberliegenden Straßenseite lokalisierte Studentenheim "Jowita" sein, dessen eigenartige Fensteranreihung bis heute erhalten ist.
Unseren Spaziergang setzen wir auf der Strasse Św. Marcin fort. An der Kreuzung mit den Aleje Niepodległości biegen wir rechts ab und sehen nach einigen hundert Metern das 1968 errichtete Collegium Novum. Ursprünglich bestand es aus zwei Gebäuden, die nach zwei Jahren mit einem gläsernen Übergang verbunden wurden. Heute blüht dort das gesellschaftliche Leben aller Philologiestudenten. Am Collegium Novum entstand auch das verglaste und bepflanzte Atrium - eine echte Oase der Ruhe im Zentrum der lärmerfüllten Stadt. Die Häuserfassaden wurden aus baufertigen Eisenbetonelementen gebaut, die sich in ihrer Struktur sehr gut in das umliegende Grün einfügen. Am besten sind sie vom Park Marcinkowski zu sehen. Zwischen 2001 und 2005 wurde an das Collegium Novum im Süden das dreigeschossige, verglaste Gebäude der Bibliothek der Fakultät für Philologie angebaut.
Wir kehren zur Strasse Św. Marcin zurück, in die modernistische City von Poznań. In den Sechziger- und Siebzigerjahren haben sich die Poznańer Architekten und die Neugestaltung des Stadtzentrums von Poznań bemüht. Abgerissen wurden die Häuser aus dem 19. Jahrhundert und an ihrer Stelle entstand das Einkaufs- und Bürocenter "Alfa". Die neuen Gebäude knüpften stilistisch an damals weltweit geltende Moderichtungen in der Architektur an, als sehr häufig aneinandergereihte Hochhäuser mit zweigeschossigen Verbindungsbauten dazwischen gebaut wurden, in welchen Handels- und Dienstleistungseinrichtungen untergebracht wurden. Hinsichtlich des damals aktuellen Trends unterschieden sich die Hochhäuser von "Alfa" in nichts von ähnlichen Bauten in Rotterdam oder vom Londoner Barbicane Centre.
Bemerkenswert ist das als ein Gegengewicht für "Alfa" in der südlichen Häuserwand der Strasse Św. Marcin gebaute Wohn- und Einkaufsgebäude, das wegen des Fernseh- und Radiogeschäfts im Erdgeschoss und wegen der Fassade, die aus gläsernen Erkern geformt ist, sehr schnell mit dem Namen "Fernseher" getauft wurde. Die Erker hatten aber auch eine praktische Funktion - sie ermöglichten den Architekten die Nordwand des Hauses zu beleuchten, denn die Fenster in den Erkern sind Richtung Westen orientiert. Diese Lösung war im Landesmaßstab einzigartig. Es lohnt sich, hinter das Gebäude zu gehen, um die klassisch modernistischen, verglasten Treppenhäuser zu sehen.
Von der der Strasse Św. Marcin biegen wird die zwischen den Wolkenkratzern des "Alfa"-Centers versteckte Kantaka Strasse ein und kommen zur 27 Grudnia Strasse, wo wir ohne Weiteres das Wahrzeichen der Poznańer Moderne finden - den "Rundbau", der von dem berühmten Architekten Marek Leykman entworfen wurde und der das berühmteste Gebäude in der über 1000jährigen Geschichte der Stadt ist. Obwohl das Gebäude in der Zeit des Sozialistischen Realismus entstanden ist (1949-54), sind darin alle Merkmale der klassischen Moderne enthalten. Beeindruckend ist nicht nur die Involvierung des Bauwerkes in die Bebauung aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch die Architektur des Inneren. Die Poznańer sind alle von den zwei voneinander unabhängigen Treppenhäusern begeistert, die sich an den Wänden innerhalb des walzenförmigen Gebäudes winden. Direkt neben "Okrąglak" steht das quadratische Gebäude "Kwadraciak" - auch ein Büro- und Dienstleistungszentrum - eine Ergänzung des gesamten Bauensembles.
In direkter Nähe des Rundbaus stehen zwei weitere interessante modernistische Bauten - das Gebäude der Buchhandlung "Dom Książki" in der Gwarna Strasse und das Warenhaus "Domar" mit dem Dach mit den charakteristischen runden Öffnungen.
Unseren Spaziergang setzten wir auf der Strasse 27 Grudnia und dann Paderewskiego fort, bis wir auf den Poznańer Alten Markt kommen. Hier entstanden 1962 die Gebäude des Arsenals, die bis heute Ursache heißer Diskussionen und Streits sind. So war es auch in der Zeit ihrer Entstehung. Für die einen sind sie ein hervorragendes Beispiel der Poznańer Nachkriegsmoderne, für andere wiederum stellen sie eine Narbe in der alten Bebauung des Marktes dar. Nur einige wenige sehen die Tatsache, dass die modernen Formen des Arsenals und des Großpolnischen Museums für Militärwesen an die historische Bebauung des Marktes anknüpfen. Sogar die zwischen ihnen verlaufende kleine Strasse ist eine Reminiszenz an die mittelalterliche Marktanlage in Poznań. Die Entstehung modernistischer Objekte mitten im Herzen des historischen Marktensembles war in den 60er Jahren dadurch begründet, dass es damals kein Bildmaterial für die Rekonstruktion der historischen Bebauung gegeben hat. Hinzuzufügen wäre, dass die Gebäude ursprünglich Handelspavillons beherbergen sollten - den Souvenirladen "Cepelia" und ein Fernseh- und Radiogeschäft. Kurz vor der Eröffnung hat man jedoch darauf verzichtet und die Gebäude zum Sitz kultureller Einrichtungen bestimmt.
Modernistische Bauwerke außerhalb der Route:
Akademie für Körpererziehung
Die Architekten und Architekturkritiker betrachten das Gebäude der Poznańer Akademie für Körpererziehung (erbaut: 1972) als eines der besten Projekte von Marek Leykman. Der Bau hat eine interessante, horizontale, im Erdgeschoss in drei unabhängige Segmente aufgeteilte Form. Die Wände des Obergeschosses sind völlig verglast, es hängt gewissermaßen teilweise über das Erdgeschoß drüber. Am Tag werden die Gänge im Inneren des Gebäudes durch ein Fenstersystem in der Decke beleuchtet. Das Gebäude war von Anfang an als Sitz der Akademie für Körpererziehung geplant - im Kellergeschoss befinden sich drei Schwimmbecken und in der Umgebung mehrere Sportplätze.
Die Show- und Sporthalle Arena
Das Gebäude entstand 1974 - der Architekt ließ sich beim Entwerfen von dem einige Jahre früher in Rom erbauten Palazzetto dello Sport inspirieren, die Bauten ähneln sich jedoch lediglich in der Form. Die Poznańer Halle "Arena" ist in einer anderen Technologie gebaut und vor allem größer. Sie kann 4?200 Zuschauer fassen, ihre Kuppel mit dem Durchmesser von 80,5 Metern stützen 24 strahlenförmig angeordnete Säulen, die gleichzeitig als Rinnen dienen, die das Regenwasser von dem Aluminiumdach abführen. Im Inneren der Halle haben unzählige Konzerte und Sportveranstaltungen stattgefunden. Hier finden ebenfalls die Spiele der Volleyballweltliga und die Spiele der Poznańer Basketballspieler- und Innen statt.
Das Material entstand in Zusammenarbeit mit dem Projekt "Falsch geboren" - Architektur der Nachkriegsmoderne in Polen.