1793 wurde Poznań infolge der zweiten Teilung Polens dem preußischen Staat eingegliedert. Seit dieser Zeit haben die Deutschen versucht, der Stadt einen deutschen Charakter zu verleihen und so viele deutsche Ansiedler, wie nur möglich, in die Hauptstadt Großpolens (Wielkopolska) zu holen. Um dieses Ziel zu verwirklichen, wurden zahlreiche Investitionen ergriffen, um Poznań als eine für Deutsche freundliche Stadt umzuwandeln. Es entstanden deutsche Bibliotheken, Museen und Theater und zu Beginn des 20. Jahrhunderts das monumentale Schlossviertel. Die im Widerstand gegen die Deutschen vereinten Polen wählten die Taktik des passiven Widerstands und versuchten die polnischen Strukturen durch organische Arbeit zu stärken. Entstanden sind Institutionen, Gesellschaften und Vereine, die sich um die polnische Kultur und Sprache bemühten sowie Genossenschaften und Banken, die Kredite an polnische Unternehmen vergaben.
Unsere Wanderung durch das polnisch-deutsche Poznań des 19. Jahrhunderts beginnen wir am Platz der Freiheit. Der Platz wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf der Erhebung namens Musza Góra angelegt. Hier sollte das neue Stadtviertel entstehen, das von den Berliner Architekten entworfen wurde. Die Lage auf der Erhebung sollte dieses Viertel vor Hochwasserkatastrophen schützen. Durch den Platz der Freiheit verlaufen die Marcinkowskiego Allee - die einstige Wilhelmstrasse - die Vorlage dafür war die Berliner Strasse "Unter den Linden".
Das älteste Gebäude am Platz der Freiheit ist die Raczyński-Bibliothek. Gestiftet wurde sie vom Grafen Edward Raczyński. Erbaut wurde die Bibliothek zwischen 1822 und 1829. Untergebracht wurden darin die Bücherbestände des Grafen Edward Raczyński, die regelmäßig mit allen neuen Veröffentlichungen, die im Poznańer Fürstentum erschienen, bereichert wurden. Das klassizistische Bauwerk und konkret seine Vorderfassade, ist ein Nachbau des Pariser Louvre. Das Gebäude ist das erste Bauwerk in Polen, das ausschließlich für die Unterbringung von Bücherbeständen errichtet wurde.
Auf der anderen Straßenseite sehen wir das Gebäude des Nationalmuseums. Das 1900-1903 entstandene Bauwerk knüpft in seiner Form an das Berliner Karl-Friedrich-Museum an - beide Bauten sollten durch ihre Dekorationen und Ausstattung die Stärke des deutschen Staates unterstreichen. Nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit im Jahre 1919 wurde das Kaiser-Friedrich-Museum in das Großpolnische Museum und im Jahre 1950 in ein Nationalmuseum verwandelt. Die äußeren Dekorationen, die sich auf deutsche Künstler bezogen, wurden mit polnischen ersetzt. Heute sind im Hauptgebäude des Nationalmuseums die Galerie für Polnische Kunst, die Galerie für Ausländische Kunst, die Galerie für Plakat und Design, die Galerie für Gegenwartskunst sowie das Kabinett für Kupferstiche und das Numismatische Kabinett untergebracht. Das Nationalmuseum hat in Poznań fünf Abteilungen und in ganz Großpolen drei weitere Filialen. In der Galerie für Malerei und Bildhauerei des Nationalmuseums kann man vor allem die Sammlungen der westeuropäischen Malerei besichtigen.
Rechts schließt sich dem Nationalmuseum das historische Gebäude des Hotels Bazar an. Gebaut wurde es zwischen 1838 und 1842. Es wurde sofort zum Zentrum des gemeinnützigen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Polen. Im Hotel "Bazar" übernachteten großpolnische Großgrundbesitzer und im Erdgeschoss waren - dem Statut gemäß - ausschließlich Geschäfte untergebracht, die Eigentum polnischer Kaufleute waren. Unter anderem befand sich dort das Lager der Werke von Hipolit Cegielski, dem größten Poznańer Unternehmer im 19. Jahrhundert. In die Geschichte ging das Bauwerk ebenfalls dank Ignacy Paderewski ein, der vom Balkon seines Hotelzimmers aus im Jahre 1918 eine patriotische Ansprache an die Bürger von Poznań hielt. Noch am selben Tag brach der für Polen siegreiche Großpolnische Aufstand aus, wonach Großpolen nach über 120 Jahren wieder unter polnische Hoheit kam.
Auf der gegenüber liegenden Seite des Platzes der Freiheit ist das Gebäude der Arkadia sehenswert. Die Bezeichnung "Arkadia" stammt von den sich hier einst befindenden Cafe und Restaurant. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde an der Stelle der heutigen "Arkadia" das königliche Theater errichtet, wo zahlreiche Aufführungen und Konzerte stattfanden, u.a. wurde hier zum ersten Mal in Poznań die Oper "Halka" von Stanisław Moniuszko aufgeführt. Das gegenwärtige Gebäude war für das neue Stadttheater bestimmt, das im Unterschied zu dem ähnlichen Gebäude des Polnischen Theaters als Deutsches Theater bezeichnet wurde. In dem Gebäude war außer dem bereits erwähnten Cafe "Arkadia" auch der Sender des Polnischen Radios untergebracht. Heute befindet sich dort unter anderem das Zentrum für Städtische Information.
Unseren Spaziergang setzen wir entlang der 27 Grudnia Strasse fort. Wir passieren die Kreuzung mit der Ratajczaka Strasse. Einige Dutzend Meter von hier befindet sich die Universitätsbibliothek, die 1902 als Kaiser-Wilhelm-Bibliothek errichtet wurde. Entlang der 27 Grudnia Strasse erstreckte sich in Richtung des Rundbaus Okrąglak noch in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Häusern aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurden abgetragen, weil die Grundstücke für künftige Investitionen vorgesehen waren, die jedoch nie zustande gekommen sind. Dadurch muss man das 1873 - 1875 erbaute Polnische Theater nicht auf einem der Höfe suchen - es ist von der 27 Grudnia Strasse sehr gut sichtbar und seine Architektur erinnert an das Deutsche Theater im "Arkadia". Das Polnische Theater wurde aus öffentlichen Spenden gebaut, was auch an der Hausfassade in der Inschrift "Das Volk für sich selbst" gut erkennbar ist.
Wir gehen über die Ulica Fredry zum Schlossviertel, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entworfen wurde, als Wilhelm II. die überalterten Stadtbefestigungen abtragen ließ, die die Entwicklung der Stadt beeinträchtigten. Auf dem frei gewordenen Gelände beschlossen die Deutschen ein repräsentatives Stadtviertel zu errichten, das den deutschen Charakter der Stadt hervorheben sollte. Danach kommen wir zum Collegium Maius. Das Gebäude entstand 1908 und war Sitz der Preußischen Kolonisierungskommission. Die Einrichtung befasste sich mit dem Aufkauf des Bodens von den Polen, auf den erworbenen Grundstücken sollten später Deutsche angesiedelt werden. Sowohl die innere als auch die äußere Gestaltung des Gebäudes knüpfte an die deutsche Geschichte und Kultur an. Heute ist das Bauwerk Teil der Adam-Mickiewicz-Universität und der Medizinischen Universität. Ein wenig weiter erhebt sich das neoklassizistische Gebäude des Grosses Theater. Das Theater war eine Filiale der Berliner Oper, es entstand 1909-1910. Die Vorderfassade des Theaters schmücken sechs ionische Säulen, über die sich die Figur des Pegasus erhebt (früher hieß das Theater "Haus zum Pegasus"). Der Zuschauerraum des Theaters fasst 900 Personen.
An der Oper biegen wir rechts, Richtung des Mickiewicz-Parks, ein und gehen zum Adam Mickiewicz Platz. An der westlichen Seite des Platzes sehen wir das Collegium Minus. Errichtet wurde das Gebäude 1905-1910 für die Preußische Königliche Akademie, heute beherbergt es das Rektorat der Adam-Mickiewicz-Universität. Im Inneren des Bauwerkes befinden sich zwei Aulen - die Große Aula und die Lubrański-Aula. Die Universitätsaula ist einer der bekanntesten Konzertsäle in Polen und Schauplatz zahlreicher Musikveranstaltungen, unter anderem des Violinenwettbewerbs "Henryk Wieniawski".
An der östlichen Häuserwand des Platzes erhebt sich das monumentale Gebäude des Kaiserlichen Schlosses. Dieses mächtige neoromanische Gebäude wurde von Franz Schwechten entworfen und 1905-1910 für Kaiser Wilhelm II. errichtet, der an seiner feierlichen Eröffnung persönlich teilgenommen hat. Der Stil und der Aufwand sollten die staatliche Macht verkörpern und der romanische Charakter des Bauwerkes wurde als besonders ,germanisch' betrachtet. In der Zwischenkriegszeit war das Schloss Sitz der Präsidenten der II. Polnischen Republik und der Poznańer Universität. Hier arbeiteten die Wissenschaftler die, den Enigma-Code sprengten. Während des Zweiten Weltkrieges war das Schloss die Residenz von Hitler. Umgebaut wurden damals alle Innenräume und zwar im Stil des III. Reiches, woran der Hofarchitekt Hitlers, Albert Speer teilnahm. Vorherrschend ist in der Fassade der Uhrenturm, der ursprünglich 74 m hoch war. Nach dem Krieg hat man den zerstörten Turm um 20 m kürzen müssen. Auf dem Rosen-Innenhof befindet sich ein Sprungbrunnen - eine Nachbildung des Löwenspringbrunnens aus Alhambra in Grenada. Gegenwärig beherbergt das Kaiserschloss das Kulturzentrum "Zamek", das Animationstheater und viele andere Einrichtungen. Das Schloss ist Schauplatz zahlreicher Ausstellungen, Zusammenkünfte und Konzerte.